1. Topographische Senkenanalyse innerhalb der Berliner Landesgrenzen

Um die Folgen von Starkregen in Berlin bewerten zu können, ist eine flächendeckende, topografische Analyse der vorhandenen Senken in der Stadt Grundvoraussetzung. Um ein möglichst genaues Bild zur Senkentopografie zu bekommen, wurde das gesamte Stadtgebiet analysiert. Die Basis dafür bildeten selbst erstellte und digitale Modelle der Stadt. Als Datengrundlage wurde auf die Höheninformationen des Landes Berlin zurückgegriffen.
In Verbindung mit Geodaten wurde außerdem analysiert und visualisiert, welche Senken zum Beispiel in der Nähe kritischer Infrastrukturen liegen.
Insgesamt wurden 153.819 topografische Senken in Berlin identifiziert, die sich nun über ihre Eigenschaften (Größe Einzugsgebiet, Retentionshöhen) und über räumliche Verschneidungen mit Geodaten zu Feuerwehreinsätzen, Störungsmeldungen, kritischen Infrastrukturen und Funkabdeckung weiter einordnen lassen (siehe auch im Folgenden).

Abbildung 1: Darstellung der topographisch ermittelten Tiefpunkte in Rasterform (dunkelblau) und der aus den Kriterien resultierten Senken (hellblau).

2. Stadtgebietsanalyse – Identifizierung von Starkregen-Hotspots

Starkregen zeichnen sich neben ihrer hohen Niederschlagsintensität dadurch aus, dass sie meist lokal auftreten und räumlich gesehen überall vorkommen können. Besonders in urbanen Senkenlagen führen die Abflüsse in Folge von Starkregen zu Überflutungen mit großer Schadwirkung. Im Rahmen des Arbeitspakets 3 (AP3) wurden mit Hilfe einer stadtgebietsweite topografische Senken- und Fließweganalyse und anschließendem Auswahlverfahren (Screening) 4 besonders überflutungsgefährdete Starkregen-Hotspots in Berlin identifiziert.

Als Ergebnis der topografischen Senken- und Fließweganalyse wurde Gesamtberlin in 153 819 Teilsenken aufgeteilt, deren Relevanz hinsichtlich der Überflutungsgefährdung und damit verbunden Auswahl als Überflutungs-HotSpot in mehreren Screening-Phasen weiter eingegrenzt wurde:

1. Screening Phase

Anhand der topografischen und geometrischen Kennwerte der Senke (Tiefe, Volumen, Ausdehnung) wurden in einer Vorauswahl die Anzahl an Senken auf 485 eingegrenzt. Diese 485 Senken wurden mit Hilfe einer Kriterienmatrix (insgesamt 18 Bewertungskriterien, 7 Kriteriengruppen) bewertet und in eine Rangfolge hinsichtlich ihrer Relevanz als Überflutungs-HotSpot gebracht. Abbildung 1 zeigt die Wichtung der Kriteriengruppen innerhalb der Matrix.

Abbildung 1: Wichtung der Kriteriengruppe innerhalb der Kriterienmatrix.

2. und 3. Screening-Phase

In der 2. Screening-Phase wurden aus der Rangfolge der 485 Senken 35 Senken gewählt und für diese Senkensteckbriefe erstellt. Von den 35 Senken wurden im Rahmen eines Arbeitstreffens mit den Projektpartnern 12 Schwerpunktsenken ausgewählt und diese in einem 3. Screening anhand einer ortsbezogenen Analyse mit Ortsbegehung weiter bewertet (siehe Abbildung 2 unter „Weitere Eignungskriterien“).

Abbildung 2: Senkensteckbrief mit zusätzlicher ortsbezogener Analyse

Finale Senkenauswahl

Aus den 12 Schwerpunktsenken wurden 4 überflutungsgefährdete Starkregen-Hotspots ausgewählt, die in SENSARE als Modell-Senkengebiete dienen und im Rahmen von AP6 mit Sensorik und einem Sensornetzwerk ausgestattet werden und. Für 2 der Modell-Senkengebiete wird im AP4 ein gekoppeltes 1D/2D-Oberflächenabflusssimulationsmodell aufgebaut, für die 2 anderen Modell-Senkengebiete ein reines 2D-Oberflächenabflusssimulationsmodell.

3. Oberflächenabflussmodellierung und Erstellung von Starkregenrisikokarten

Berlin war wie viele andere Städte in den vergangenen Jahren mehrmals von Überflutungen durch Starkregen betroffen. Hohe Versiegelungsgrade im urbanen Raum führen bei Starkregen dazu, dass das unterirdische Kanalnetz überlastet ist und der Regenabfluss von befestigten Flächen nicht mehr vollständig abgeführt werden kann. In Folge dessen kommt es zu Überflutungen an der Oberfläche, die hohe Sachschäden verursachen, den Verkehr in der Stadt beeinträchtigen und bei besonders intensiven Starkregenereignissen auch eine Gefahr für Leib und Leben darstellen können. Mit Hilfe des im Projekt SENSARE erarbeiteten Oberflächenabflussmodells kann das Überflutungsverhalten im Starkregenfall simuliert werden und damit Gefahrenbereiche identifiziert und in Überflutungsrisikokarten dargestellt werden.

Im Arbeitspaket 4 von SENSARE wurde für zwei überflutungsgefährdete Modellgebiete in Senkenlage mit einer Fläche von rund 3,7 km² ein komplexes Oberflächenabflusssimulationsmodell erstellt. Bei diesem Modell wird der Wasseraustausch zwischen der unterirdischen Kanalisation und der Oberfläche simuliert. Schächte und Straßenabläufe dienen der Simulation als „Kopplungspunkte“ für den Wasseraustausch. Bei der Modellierung des Wasserabflusses werden ein hochaufgelöstes digitales Geländemodell sowie die Eigenschaften der jeweiligen Oberfläche berücksichtigt. Die Simulation unterscheidet zwischen nicht befestigten Flächen (z. B. Grünflächen) und befestigten Flächen (z. B. Dach-, Straßen- und Hofflächen). In Abbildung 2 sind beispielhaft die befestigten Flächen eines Ausschnitts im Untersuchungsgebiet dargestellt.

Abbildung 2: Darstellung der Gebäudeflächen (rot), der Hofflächen (orange), der Straßenflächen (hellgrau) und der Bruchkanten (schwarz); als Hintergrundlayer ist das zugehörige amtliche Luftbild (Orthophoto) dargestellt.

Mit Hilfe des Oberflächenabflusssimulationsmodells wurden für 32 Regenlastfälle Starkregenrisikokarten erzeugt. Diese decken ein breites Starkregenspektrum mit unterschiedlicher Frequenz und Dauer ab. Die Risikokarten erlauben nicht nur, die Überflutungshöhe abzubilden; es werden außerdem kritische Infrastrukturen (KRITIS) und Gebäude mit besonderem Schutzbedarf, wie zum Beispiel Kindergärten, Seniorenheime oder Verwaltungsgebäude ausgewiesen. Sie bilden die Arbeitsgrundlage für die Verkehrslenkung und Ermittlung verkehrskritischer Hotspots und werden den verschiedenen kommunalen Stakeholdern über die SENSARE Online-Plattform als dynamisches Informationsmedium zur aktuellen Starkregengefährdung bereitgestellt.

Die Risikokarten werden nach Projektende veröffentlicht.

4. Verkehrslenkung im Starkregenfall

Tritt ein Starkregen ein, werden häufig Straßen überflutet, wodurch der Verkehrsfluss verlangsamt wird oder ganz zum Stillstand kommt und die Sicherheit von Verkehrsteilnehmenden gefährdet ist. Diese Bereiche sollten dann möglichst frühzeitig umfahren werden, um Gefährdungen und Stau und damit einhergehend Behinderungen für Rettungsfahrzeuge der Polizei, Feuerwehr und des THW zu reduzieren. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig Katastrophenfallkonzepte und -maßnahmen für alle Verkehrsteilnehmenden zu entwickeln. Betrachtet werden somit die Routen für den individuellen Verkehr (IV, u.a. Pkw, Lkw), Fahrzeuge der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) sowie Linienbusse. Die Identifizierung von Alternativrouten für BOS und Linienbusse steht dabei jedoch im Vordergrund. Möglichst weiträumige Umleitungen für den Individualverkehr um das Überflutungsgebiet herum haben vor allem das Ziel den BOS eine möglichst zeitkurze Fahrt zum Einsatzort zu ermöglichen.

Zur Konzeptentwicklung ist es notwendig zunächst eine verkehrliche Bestandsanalyse durchzuführen. Hierfür wird das Verkehrsmodell der Stadt Berlin genutzt. Dieses Modell wurde mit der Verkehrssimulationssoftware PTV Visum erstellt und imove von der Senatsverwaltung Berlin zur Nutzung zur Verfügung gestellt. Das Verkehrsmodell Berlin ist grundsätzlich für einen Standardwerktag kalibriert.

Zunächst werden verschiedene Einflussfaktoren auf eine Verkehrslenkung im Starkregenereignisfall analysiert. Hierzu werden vielbefahrene Strecken anhand der Belastung (IV: Kfz/Tag; ÖV: Kunden/Tag) und der Auslastung der Strecken im Berliner Verkehrsmodell für die Gesamtstadt identifiziert. Des Weiteren werden funktionsrelevante Strecken anhand von sogenannten Stromverfolgungsplänen für die betrachteten Senkengebiete in Berlin betrachtet. Diese zeigen die Ziel‑, Quell-, Durchgangs-, Binnen- und Außenverkehre, bezogen auf die Senken, auf. Weitere Rahmenparameter zur Alternativroutensuche sind die Streckentypen (z.B. Wohnweg oder Bundesstraße), BOS-Standorte und vergangene Einsätze der BOS, Bushaltestellen, U-Bahn-Eingänge, elektronische Informationsdisplays sowie Rahmenparameter für den Linienbusverkehr.

Im nächsten Schritt werden die Strecken innerhalb und im erweiterten Einzugsbereich der Senken genauer betrachtet, die in einer der drei Wasserstandskategorien „> 30 cm“, „30-60 cm“, „> 60 cm“ liegen. Die Höhe des Wasserstands wurde nach einer Oberflächenabflusssimulation von einem Projektpartner zu Verfügung gestellt. Die Kategorien wurden anhand der Befahrbarkeit von Straßen im Starkregenereignisfall gebildet. Zur Analyse der Auswirkungen eines Starkregenereignisfalls auf den Verkehrsfluss wurden zwei Szenarien entwickelt. Im Szenario 1 wird angenommen, dass alle Strecken, die in einem Wasserstand „> 60 cm“ liegen bei einem Starkregenereignisfall als erstes nicht mehr befahren werden können und deshalb für den Verkehr gesperrt werden. Das zweite Szenario zeigt dann die Auswirkungen auf den Verkehr, wenn alle Strecken ≥ 30 cm nicht mehr befahrbar sind. Dies hat den Hintergrund, dass der IV bis ca. 30 cm noch langsam durch das Wasser waten kann. Auch die meisten BOS-Fahrzeuge können maximal bis 30 cm Wasserhöhe noch durch das Wasser fahren. Einzelne größere Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr und insbesondere des THW können auch noch bis 60 cm das Wasser durchfahren. Insgesamt wurden sechs Verkehrsumlegungen durchgeführt, um die verkehrlichen Auswirkungen bestimmen zu können. Jedes Szenario wurde für eine „schwache“, „mittlere“ und „starke Überflutungsausdehnung“ (je nach Stärke des Regenereignisses) simuliert.

Auf dieser Basis wurden dann Kategorien zu Eignung der Straßen als Alternativroute für BOS-Fahrzeuge und den Linienbusverkehr gebildet. Den Kategorien zur Eignung der Stecke als Alternativroute für BOS-Fahrzeuge und Linienbusse wurden Kenngrößen wie verkehrliche Auslastung, Streckentyp oder Wasserstand zugeordnet; um eine Strecke einer Kategorie zur Eignung zuzuordnen.

Anhand der Kategorien und einer Differenzbetrachtung des Ausgangszustands mit den Szenarien (Stromverfolgungspläne) wurden dann für die zwei ausgewählten Senken Alternativrouten für BOS-Fahrzeuge und Linienbusse entwickelt.

Der Schwerpunkt bei den Alternativrouten liegt bei den BOS-Fahrzeugen, hierfür wurden Ring-Routen (enge und weitere Umfahrung der Senke), Einfall-Routen (Strecken, die direkt zur Senke führen) sowie Verbindungs-Routen (Strecken, die die Einfall-Routen miteinander verbinden) identifiziert. Linienbusse sollen, wenn möglich, auf Routen umgeleitet werden, die bereits für den Linienbusverkehr genutzt werden. Die Alternativrouten für BOS und Linienbusse können sowohl bei schwacher, mittlerer als auch starker Überflutungsausdehnung genutzt werden. Für den Individualverkehr werden keine konkreten Routen vorgeschlagen, um den BOS Vorrang auf den empfohlenen Routen zu gewähren und diese durch eine IV-Umleitung nicht zu behindern. Eine frühzeitige Information aller Verkehrsteilnehmenden ist jedoch von großer Bedeutung. Dies kann unter anderem durch Radio-Durchsagen, Katwarn-Meldungen und Anzeigen an den elektronischen Informationsdisplays geschehen. Für den schienengebundenen Verkehr (U-, S-Bahn und Tram) können keine alternativen Routen festgelegt werden, hier werden übergeordnete Empfehlungen ausgesprochen.